Interview: Gemeinsam forschen im NutriNet

Im NutriNet rücken landwirtschaftliche Praxis und Wissenschaft eng zusammen. Gemeinsam mit Wissenschaftler*innen erarbeiten Landwirt*innen Forschungsfragen, legen dazu Versuche an und werten sie aus. Diese Prozessarbeit wird kontinuierlich geprüft und angepasst, damit sie noch besser gelingt. Dr. Henrike Rieken und Dr. Babett Jánszky unterstützen dies mit ihrer sozialwissenschaftlichen Expertise. Im Interview geben sie Einblicke „hinter die Kulissen“ der Praxisforschung im NutriNet und darüber hinaus.

Was ist eigentlich Praxisforschung?

Henrike Rieken: Wissenschaftlich ist der Begriff nicht eindeutig definiert, aber er hat sich im Sprachgebrauch durchgesetzt, wo Praxis und Wissenschaft (auf Augenhöhe) zusammen forschen. Wie genau das gestaltet wird, kann ganz unterschiedlich sein. Immer erarbeiten Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen gemeinsam Lösungen für Probleme. Solche partizipativen Ansätze ermöglichen Vernetzung und erzielen durch den Austausch verschiedener Wissensqualitäten neue Formen von Wissen. Das heißt, die Wirksamkeit von Maßnahmen wird unter Praxisbedingungen nachgewiesen. Wissenschaftsmethodische Ansätze beschreiben so ein Verfahren mit Begriffen wie Co-Design, Ko-Kreation, Partizipation und Transdisziplinarität.

Babett Jánszky:  Eigentlich ist schon der Begriff „Praxisforschung“ ein Erfolg, weil er sich in der gelebten Praxis durchgesetzt hat für eine Form der Kooperation zwischen Praxis und Wissenschaft. Es hat also eine Übersetzungsleistung stattgefunden, um die es ganz wesentlich in der Praxisforschung geht. Die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft ist ja bekannt für ihren Pioniergeist. Mangels der nötigen Aufmerksamkeit in den Agrarwissenschaften und passender ökospezifischer Forschungseinrichtungen mussten Praktiker*innen schon in den frühen Stunden des Ökolandbaus aktiv werden und für die Umsetzung neuer Ideen Spezialist*innen und Verbündete aus der Forschung suchen. Auf diese Weise haben sich über die letzten Jahrzehnte Kooperationen entwickelt, die Formen von Zusammenarbeit zwischen Praxis und Wissenschaft geübt haben und in denen das gemeinsame Gestalten im Vordergrund stand – und bis heute steht.

Könnt ihr beschreiben, wie im NutriNet Praxisforschung umgesetzt wird?

Rieken: Im NutriNet gelingt es tatsächlich, einen Co-Design Ansatz umzusetzen. Beispielsweise legen Landwirt*innen aus den Regionetzwerken Praxisversuche an. Dabei werden sie von Wissenschaftler*innen und Regio-Berater*innen beraten und unterstützt. Das gelingt auch durch den Netzwerkansatz im NutriNet: Es gibt sechs Regionetzwerke, die jeweils von einer*m Regioberater*in begleitet werden. Die Netzwerkmitglieder diskutieren über den individuellen und gemeinsamen Forschungsbedarf im Nährstoffmanagement und sammeln dabei sehr viele konkrete Fragestellungen. Diese dann zu sortieren, zu filtern, zu bündeln und zu priorisieren, ist Aufgabe einer Arbeitsgruppe bestehend aus Wissenschaftler*innen und Regioberater*innen. Die Regioberater*innen haben im Projekt eine sehr wichtige Rolle als Wissensvermittler*innen und Prozesskoordinator*innen.

Jánszky: Genau. Und dabei ist Sprache ein ganz zentrales Element. Alle Beteiligten müssen einander verstehen. Eng damit verbunden ist die Kompromissfähigkeit, aus individuellen Anliegen gemeinsame zu machen. Dafür gibt es im NutriNet zahlreiche Austauschformate, in denen Praxis, Beratung und Wissenschaft untereinander und miteinander sprechen und gemeinsame Vorhaben ausgehandelt werden.

Solche Prozesse erfordern viel Koordinationsaufwand. Austausch kostet Zeit – und oft auch Geduld. Denn natürlich besteht nicht immer Einigkeit. Anliegen, Ziele und Wege dorthin müssen kontinuierlich diskutiert und angepasst werden. Praxisforschung kann daher nicht ohne genügend Ressourcen zur Moderation der notwendigen Arbeitsschritte und Prozesse funktionieren. Das muss in der Förderung von Praxisforschungsvorhaben bedacht werden. Es ist nach wie vor nicht die Regel, dass Forschungsprojekte mit ausreichend Mitteln für diese anspruchsvollen Kommunikationsaufgaben ausgestattet sind. Dazu gehört zum Beispiel auch so etwas wie eine formative, also gestaltende Evaluierung, die eine kontinuierliche Prozessverbesserung ermöglicht.

Lassen sich denn daraus auch wissenschaftlich fundierte Ergebnisse ableiten?

Jánszky: Ja, aber andere als bei wissenschaftlichen Exaktversuchen, denn ein wichtiges Merkmal von Praxisforschung ist, dass es im Forschungsprozess neben der Einhaltung von wissenschaftlichen Erfolgskriterien maßgeblich um die Berücksichtigung von Erfolgskriterien der Praxis geht. Hier müssen alle Beteiligten den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, damit alle Erfolgskriterien in ausreichendem Maß berücksichtigt werden. Deswegen gibt es auch nicht „die eine“ Praxisforschung, sondern Versuchsanordnungen, die methodisch mehr oder weniger stark an Exaktversuche heranreichen. Im NutriNet wird zum Beispiel die Methode des Netzwerkversuchs (siehe Poster in der rechten Spalte) entwickelt und erprobt. Dabei werden die aus Exaktversuchen bekannten räumlichen Wiederholungen auf mehrere Betriebe verteilt, um den Aufwand für jeden einzelnen Betrieb überschaubar zu halten und trotzdem statistisch auswertbare Ergebnisse zu erzielen.

Im Projekt arbeiten wir als Evaluatorinnen daran, diese, oder zumindest einige dieser Prozesse und für sie notwendige Erfolgskriterien beschreibbar zu machen. Wir wollen sie – neben den klassischen Versuchsanleitungen - mit einer in Planung befindlichen Handreichung auch anderen Praxisforschungsaktiven an die Hand geben.

Für die Entwicklung praxisnaher Lösungen scheinen sich solche kooperativen Ansätze in der wissenschaftlichen Praxis also besonders anzubieten. Wie seht Ihr die aktuelle Forschungslandschaft in Deutschland dafür aufgestellt?

Jánszky: In der institutionellen Forschung und der Grundlagenforschung haben es partizipative Ansätze noch eher schwer. Das hat auch etwas damit zu tun, dass mit der Praxis gewonnene Erkenntnisse häufig noch nicht als gleichwertig gelten oder mit den Anforderungen klassischer wissenschaftlicher Qualitätskriterien kollidieren. Dort, wo Wissenschaft primär über Peer-reviewed-Artikel und Zitierhäufigkeit bewertet wird, ist das häufig noch ein Problem. Hier muss wissenschaftsmethodisch und -theoretisch, aber auch politisch mit der Entwicklung eines breiteren sozial-ökologischen Innovationsverständnisses unterstützt werden: einerseits, um Vorurteile abzubauen, andererseits, um solche Qualitätskriterien zeit- und bedarfsgemäß weiterzuentwickeln.

Besonders in der freien Forschung und generell in den transformationsorientierten Wissenschaftsdisziplinen tut sich diesbezüglich einiges. Hier ist eher anerkannt, dass wir Erkenntnisfortschritt und Veränderung am besten durch Zusammenarbeit und das Bündeln verschiedener Wissensqualitäten erreichen. Auch Förderer haben diesen Mehrwert zunehmend auf dem Schirm und investieren in solche ko-kreativen Forschungsdesigns. Gerade mit Blick auf die dringend notwendigen Transformationsanliegen ist das jedoch bei Weitem noch nicht genug. Zudem müssen sich die Qualitätskriterien für die Finanzierung partizipativer Forschungsvorhaben deutlich stärker am tatsächlichen Bedarf orientieren. Auch der grundlegende Ausbau entsprechender Forschungsinfrastrukturen, die solche Kooperationen ermöglichen und fördern, ist entscheidend für die Zukunft der Praxisforschung. Hier hat die Praxisforschung im Ökolandbau in den letzten Jahren tatsächlich einigen Vorschub geleistet und es sind zahlreiche Netzwerke entstanden, die als Anknüpfungspunkte dafür dienen können.

Rieken: Wichtig ist auch, dass neben der Forschungsinfrastruktur die Wissenschaftler*innen und Forschungseinrichtungen (Universitäten, Hochschulen, außeruniversitäre Institute etc.) Studierenden und Postgraduierten Angebote bereitstellen, die in solchen methodischen Ansätzen schulen. Es braucht aus unserer Sicht mehr professionelle Ausbildungskonzepte zur transdisziplinären Methodologie in der Agrarforschung. Das umfasst neben dem natur- und sozialwissenschaftlichen Methodenkoffer, auch Prozessbegleitungs- und Gruppenkompetenzen: sprich ein Methodenset zur Arbeit mit den Beteiligten. Das braucht Fingerspitzengefühl und ein hohes Maß an kommunikativen, prozessualen und selbstreflektorischen Kompetenzen. Ja, es geht um Befindlichkeiten, auch in der Forschung. Das ist sicher nicht für alle einfach zu akzeptieren. Vor diesem Hintergrund ist eine respektvolle Fehlerkultur unabdingbar.

Jánszky: So ist es. Damit tun wir uns ja leider generell etwas schwer in Deutschland. Mit Blick auf die Praxisforschung können wir mit unseren Erkenntnissen aus dem NutriNet einige Anregungen sammeln, wie diese ko-kreative Prozessarbeit gut gelingen kann.

Stand: 29.11.2022

Ansprechpartnerin

Anne Droscha
Tel. +49 6155 846985
Anne.Droscha(at)demeter.de

Poster zur Praxisforschung im NutriNet

Im NutriNet untersuchen Landwirt*innen mithilfe von Praxisversuchen, wie sie das Nährstoffmanagement auf ihren Betrieben verbessern können. Dabei erhalten Sie Unterstützung von Berater*innen und Wissenschaftler*innen. Ein Poster erklärt, wie die Beteiligten zusammenarbeiten und welche Versuchstypen bei der Praxisforschung im NutriNet zum Einsatz kommen.

Zum Poster (pdf-Datei, 1,2 MB)

Landkarte der Praxisforschung

Praxisforschung ist eine Gemeinschaftsaufgabe, in der viele Themen und Prozesse abgestimmt werden müssen. Diese Vielschichtigkeit haben wir im NutriNet auf humorvolle Weise in einer „Landkarte der Praxisforschung“ zusammengetragen, illustriert von Mathis Eckelmann. Die Karte soll mit viel Heiterkeit für andere Praxisforschungsinteressierte sichtbar und zugänglich machen, was in Praxisforschung alles steckt, wo Hürden und Ertragreiches im co-creativen Arbeiten liegen.

Zur Landkarte (pdf-Datei, 5,5 MB)

Der Netzwerkversuch: Entwicklung einer neuen Methode

Landwirt*innen, die Praxisversuche auf ihren Betrieben durchführen, stehen vor der Herausforderung, Feldversuche in ihren Betriebsalltag zu integrieren. Diese Versuche sollen zugleich wissenschaftlichen Anforderungen (räumliche Wiederholung und Randomisierung) genügen. Um den Aufwand für die Versuchsdurchführung für jeden einzelnen Betrieb zu reduzieren und dennoch statistisch auswertbare Ergebnisse zu erzielen, wird im Rahmen des NutriNet-Projekts eine neue Methode entwickelt und getestet: Der Netzwerkversuch. Für die Erprobung der Methode wurde die N-Dynamik nach dem Umbruch mehrjähriger Futterleguminosen zu unterschiedlichen Terminen untersucht.

Zur Methodik des Netzwerkversuchs

Zur Versuchsbeschreibung

Zum Poster

Literaturtipps

Ausgewählte Literatur zur Praxisforschung in der ökologischen Landwirtschaft finden Sie hier.

Letztes Update dieser Seite: 11.03.2024